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Bundeskongress 2018

Übersetzung Rede Sharan Burrow

Juni 2018; Sharan Burrow, Generalsekretärin, Internationaler Gewerkschaftsbund

Werte Kolleginnen und Kollegen,

Es ist mir eine große Ehre und ein Privileg, auf Eurem Kongress hier in Wien, der Geburtsstätte des IGB, sprechen zu dürfen.

Wir leben in einer zerrissenen Welt, und auch hier in Österreich ist Euer Kampf für progressive Demokratie, für Inklusion und grundlegende Rechte repräsentativ für einen allgemeineren Kampf, der überall auf der Welt stattfindet. Die Gewerkschaften stehen im Kampf für eine gerechte Welt, für Frieden, Demokratie, Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechte, Löhne, Sozialschutz und die Gleichstellung von Frauen und Männern an vorderster Front. Sie kämpfen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und sinnlose Privatisierungen. Vielerorts stehen die Gewerkschaften vor der Aufgabe, Demokratien wiederaufzubauen.

Eure Solidarität mit Gewerkschaften, die an derartigen Kämpfen beteiligt sind, ist legendär, und dafür danke ich Euch.

Werte Delegierte – weltweit sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schwierigkeiten. Das derzeitige Globalisierungsmodell kommt erwerbstätigen Menschen nicht zugute, und obwohl das weltweite Vermögen heute dreimal größer ist als vor 30 Jahren, hat sich das reichste eine Prozent den Großteil dieses Vermögens angeeignet. Es ist ein Modell, das absichtlich auf Ungleichheit abzielt.

Zu der ungebremsten Macht der Unternehmen kommt heute die digitale Wirtschaft hinzu, die direkte Beschäftigungsverhältnisse demontiert, auch hier in Europa. Und es sind nicht nur Uber oder Foodora und ihresgleichen. Wenn es möglich ist, dass ein Journalist oder eine Journalistin in Europa lediglich 15 bis 60 Euro pro Tag verdient – der Preis eines Artikels – dann müssen wir die Regeln neu festlegen, um diese neuen Unternehmen zu reglementieren. ArbeitnehmerInnen sind abhängige Beschäftigte, und wenn es sich um echte Selbstständige handelt, dann müssen wir die Möglichkeit haben, sie zu vertreten und einen fairen Vertragspreis für sie auszuhandeln.
Tragisch ist, dass dieses ausbeuterische Wirtschafts- und Globalisierungsmodell von den meisten Regierungen begünstigt wird, indem sie entweder aktiv dazu beitragen oder passiv dulden, dass die Menschen- und Arbeitnehmerrechte unter Beschuss und die Löhne unter Druck geraten. Vierundachtzig Prozent der Menschen weltweit geben an, dass der Mindestlohn in ihrem Land nicht ausreicht, um davon zu leben, und 85 Prozent wollen, dass die Regeln für die Weltwirtschaft neu definiert werden.

Es muss dringend etwas geschehen, wenn weniger als 60 Prozent der Beschäftigten über einen formellen Arbeitsvertrag verfügen und die Mehrheit prekären oder unsicheren und häufig gefährlichen Bedingungen ausgesetzt ist, oftmals ohne soziale Absicherung. Vierzig Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen kämpfen in der informellen Wirtschaft ums Überleben, ohne Rechte, ohne Mindestlohn und ohne Sozialschutz. Die Tatsache, dass bis zu 45 Millionen Menschen moderner Sklaverei ausgesetzt sind, unterstreicht die skandalöse Ausbeutung in einer Welt, die von unternehmerischer Profitgier beherrscht wird.

Darüber hinaus verrichten nach wie vor zig Millionen Mädchen und Jungen Kinderarbeit. Ihnen wird eine Schulbildung verweigert, sie sind in Armut gefangen und werden oft brutal ausgebeutet. Am heutigen Welttag gegen Kinderarbeit bekräftigen wir unsere Verpflichtung zum Kampf für die Beendigung von Kinderarbeit und für eine Schulbildung für alle Mädchen und Jungen.
Um eine gerechte Welt zu schaffen, in der die Menschen Vorrang vor Profiten haben, müssen wir jedoch die Regeln neu festlegen.

Dort, wo es einen Gesellschaftsvertrag gibt, gibt es einen sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen als Basis für Verhandlungslösungen. Dort, wo es Sozialschutz, existenzsichernde Mindestlöhne, Kollektivverhandlungen, unerlässliche öffentliche Dienstleistungen, eine Industriepolitik und eine faire Besteuerung gibt, sind Frieden und sozialer Zusammenhalt möglich.

Die europäische Säule sozialer Rechte ist ein guter Anfang und ein Symbol für den Rest der Welt, aber sie muss jetzt zu einem Protokoll sozialer Rechte werden, mit gesetzlich verankerten Rechten für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dies ist wichtig für die erwerbstätigen Menschen in Europa, aber das ‘soziale Europa’ ist auch ein entscheidender Anker für die Reform der Weltwirtschaft.

Dort, wo arbeitende Menschen keine Aussicht auf eine sichere Zukunft haben, sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch.

Vor diesem Hintergrund hat der IGB drei prioritäre Kampagnen gestartet:

  • Wir wollen Sklaverei beenden, und an dieser Stelle möchte ich Euch für Eure Unterstützung ausländischer Arbeitskräfte in Katar danken. Es gibt jetzt eine Vereinbarung, durch die zwei Millionen ArbeitsmigrantInnen befreit und Katars Gesetze reformiert werden können. In diesem Monat wird ein globales Zentrum für Rechtsfragen im Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen eröffnet, das gemeinsam mit der ILO, der UNO, Gewerkschaften, Unternehmen, Sportverbänden und der Zivilgesellschaft bei jeder Bewerbung um die Ausrichtung großer Sportveranstaltungen prüfen wird, ob die Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechte respektiert werden, sich für die Einhaltung der Normen einsetzen wird. Außerdem wurde das Zwangsarbeitsprotokoll der Internationalen Arbeitsorganisation von mehr als 25 Ländern ratifiziert, aber es müssen noch wesentlich mehr werden.
  • Im Rahmen unserer Bemühungen um die Eindämmung der Macht der Unternehmen haben wir groß angelegte Kampagnen gegen Unternehmen wie Samsung gestartet, das tödliche Chemikalien verwendet und Gewerkschaften verbietet. Wir werden Unternehmen wie Amazon, die ‘zu groß sind, um sie antasten zu können’, im Vorfeld des IGB-Kongresses im Dezember enttarnen. Gemeinsam mit unseren Regionalorganisationen und dem EGB haben wir weltweite Kampagnenaktionen für angemessene Löhne und Sozialschutz für alle begonnen.
  • Unsere dritte Priorität, Klimagerechtigkeit, erfordert Maßnahmen für einen gerechten Übergang, und wir verfügen jetzt über ein Zentrum für einen gerechten Übergang, das den Gewerkschaften zu einem Platz am Tisch mit den Regierungen, Unternehmen, Städten und Gemeinwesen verhelfen wird. Wir werden bei der Klimakonferenz im Dezember auf die Erklärung von Katowice über einen gerechten Übergang und menschenwürdige Arbeitsplätze verweisen, in der eine Rolle für die Gewerkschaften bei den Verhandlungen über die wirtschaftlichen Verschiebungen vorgesehen ist.

Die Menschen- und Gewerkschaftsrechte werden für uns immer Priorität haben. Vor 70 Jahren wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, aber in 54 Ländern sind die demokratischen Spielräume im vergangenen Jahr geschrumpft, und auf allen Kontinenten wurden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vermehrt verhaftet. Weltweit wüten in über 50 Ländern Konflikte, und die Militärausgaben sind zu heutigen Preisen höher als im Zweiten Weltkrieg.

Die 50-jährige Besatzung Palästinas zeugt von der politischen Ohnmacht der Global-Governance-Systeme und muss beendet werden!

Die Frauenfeindlichkeit und die Gewalt gegenüber Frauen nehmen zu. Schweigen kann niemals eine Beschäftigungsbedingung sein.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind wieder auf dem Vormarsch und die Opfer sind unsere Kolleginnen und Kollegen.

Ihr kennt die Lösung: gewerkschaftliche Organisierung, um erwerbstätigen Menschen Macht zu verschaffen.

Es gibt einen Fahrplan: Im Jahr 2015 haben die Staats- und Regierungschefs die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN und das Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen. Die Gewerkschaften haben sich bei beiden maßgeblich engagiert und bedeutende Verpflichtungen zum Abbau der Armut und Ungleichheit sowie zu grundlegenden Rechten und menschenwürdiger Arbeit, Geschlechtergleichstellung und mehr durchgesetzt. Dies gibt Hoffnung auf einen Weg in eine Welt ohne Armut und ohne CO2-Emissionen, aber das ist nur möglich, wenn wir den Kampf für demokratische Rechte und Freiheiten gewinnen.

Die Herausforderung, Klimaschutz, Digitalisierung, Automatisierung und die Produktion der Zukunft miteinander zu vereinbaren, ist groß. Wir fordern die Reglementierung aller Unternehmen durch eine gesellschaftliche Betriebslizenz, während wir die Beschäftigten in sowohl traditioneller als auch innovativer Weise organisieren. Maßnahmen für einen gerechten Übergang erfordern den Schutz gefährdeter ArbeitnehmerInnen und Garantien für Arbeitsplätze, Qualifizierungsmaßnahmen, Einkommen, Unterstützung bei der Umgruppierung sowie sichere Pensionen. Und die Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechte müssen in jedem Arbeitsumfeld respektiert werden.

Die Gewerkschaften werden dafür kämpfen, dass Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit auch weiterhin das Fundament aller Volkswirtschaften bilden.

Das erfordert ein neues Wirtschaftsmodell und einen Gesellschaftsvertrag für die Welt.

Die Gewerkschaften sind unvergänglich. Wir werden für eine gerechte Welt kämpfen, und wir werden gewinnen.
Lasst mich Euch daher für all das danken, was Ihr tut. Werte Delegierte, Ihr, Ihr alle seid so wichtig für die Stärke unserer internationalen Bewegung!

Es lebe die Solidarität!