Übersetzung Interview Dawn Gearhart
Interview mit Dawn Gearhart (USA):Dawn verbrachte die vergangenen 5 Jahre mit der Organisierung, Vertretung und Verteidigung von ArbeitnehmerInnen in der Gig-Economy. Als führende Organizerin für die beiden FahrerInnengewerkschaften „App Based Drivers Association“ und die „Western Washington Taxicab Operators‘ Association“ arbeitete Dawn mit mehr als 3.000 FahrerInnen an innovativen Ansätzen zur Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten. Zur Zeit setzt Dawn ihre Arbeit aus Norwegen fort, wo sie sich zu Forschungszwecken aufhält. Ziel ihrer Arbeit ist es Regierungen und EntscheidungsträgerInnen auf der ganzen Welt über Probleme und Chancen von ArbeitnehmerInnen in der New Economy zu informieren. Dawn ist Absolventin der Cornell University mit einem Abschluss in Industrial and Labor Relations.
Dawn, Du hast bei der Teamsters-Gewerkschaft Uber-FahrerInnen in Seattle organisiert. Wie hat das alles begonnen und was waren deine eindrucksvollsten Erfahrungen?
Wir kämpfen mit ArbeitnehmerInnen gegen die Auswirkungen zentralisierter und automatisierter Systeme, die ihre Arbeit verwalten und steuern. Das passiert beispielsweise durch traditionelle Methoden der Organisierung und zeitgemäße Politikgestaltung. 2012 begann ich TaxifahrerInnen zu organisieren, die in den USA als „selbstständige AuftragnehmerInnen“ eingestuft waren. Diese Einstufung bedeutete, dass für diese ArbeitnehmerInnen angenommen wurde, sie würden außerhalb des Geltungsbereiches des traditionellen Arbeitsrechts stehen. In der Praxis erlaubte es diese Einstufung den Unternehmen, ihnen die Sozialleistungen, die Mindestlöhne und den Arbeitnehmerschutz traditioneller ArbeitnehmerInnen vorzuenthalten.
TaxifahrerInnen schufen für sich selbst und ihre Familien Unterstützungsnetzwerke. Durch ihre Organisierungsanstrengungen in ihren Communities, Nachbarschaften und Gotteshäusern waren die TaxifahrerInnen schnell zusammengekommen als es an der Zeit war eine Gewerkschaft zu gründen. Da sie die Expertise einer traditionellen Gewerkschaft in Anspruch nahmen, kamen die ArbeitnehmerInnen in den Vorteil einer professionellen Organisation mit politischer Macht. Früh hatten TaxifahrerInnen Erfolg in kommunalen Budgetstreits und schnell verbreitete sich die Nachricht unter anderen Gruppen der mehrheitlich migrantischen ArbeiterInnenschaft.
2013 kontaktierte der erste Fahrer, der jemals eine Uber-Fahrt in Seattle durchgeführt hatte, die Teamsters. Er war Flüchtling und ein junger Jusstudent. Er schrieb Briefe an jede Gewerkschaft in der Region, um nach seinen Rechten als Uber-Fahrer zu fragen.
Damit bot sich auch eine innovative Möglichkeit. In der Verschiebung vom Menschen zum Computer müssen wir feststellen, dass Codes zu Managern werden, sich die Informationsasymmetrien vertiefen und sich das bereits bestehende Machtungleichgewicht zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen vergrößert. Für Gewerkschaften bedeutet das: wir können keine Kollektivvertragsverhandlungen mit einem Algorithmus führen, wir können gegen keine Gleichung vor Gericht ziehen und wir können nicht mit einem Computer verhandeln.
Deshalb muss die ArbeiterInnenbewegung bereit für Neuerungen sein und fähig sein mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten. Ein Geschäft innovativ zu nennen und es dann dafür zu verwenden, schutzlose ArbeitnehmerInnen auszubeuten ist keine neue Idee.
Bei Uber verwenden Roboter Codes, um FahrerInnen zu überwachen und zu kontrollieren. In Echtzeit kontrollieren sie, wieviel Umsatz FahrerInnen machen, indem sie die Tarif- und Preisgestaltung manipulieren. Oft werden falsche „Spitzen“ oder kurzfristige Preiserhöhungen angezeigt, um Anreize für die Arbeit in bestimmten Gebieten zu schaffen. Wenn FahrerInnen dann in ein Gebiet fahren, das besonders lukrativ scheint, sind die erhöhten Tarife nicht mehr aktiv. 2017 beschrieb eine Titelstory der New York Times diese „Gamification der Arbeit“ mithilfe einer Fallstudie von Uber im Detail.
Unternehmen wie Uber hatten Erfolg darin, die Verlockungen von „Innovation“ und „Flexibilität“ zu nutzen, um sowohl Regierungen als auch KonsumentInnen von weitreichenden Deregulierungen und uneingeschränkten Marktzugang zu überzeugen. Ein Unternehmen erschließt einen neuen Markt und verteilt Freifahrten an KonsumentInnen. Den FahrerInnen werden Zusatzfahrten und Zulagen für die ersten paar hundert Fahrten angeboten. Nachdem dieses Einstiegsfenster wieder geschlossen ist und es eine ausreichende Anzahl an KundInnen und FahrerInnen gibt, beginnt das Unternehmen das System zu manipulieren und KonkurrentInnen aggressiv aus dem Geschäftsfeld zu drängen. Wenn Regierungen dann auf die unvermeidbaren Beschwerden der ArbeitnehmerInnen und der Öffentlichkeit antworten, verwendet das Unternehmen seine Ressourcen, um AnhängerInnen zu mobilisieren und manchmal auch dazu, um bestimmte PolitikerInnen und deren Familien ins Visier zu nehmen.
Die Bewertung eines Fahrers/einer Fahrerin stützt sich auf die Bewertung anderer FahrerInnen in der Gegend zu diesem bestimmten Zeitpunkt. Das bedeutet, dass eine einzige schlechte Bewertung von einem Kunden/einer Kundin in einer Gegend, in der andere FahrerInnen hoch bewertet werden, zur Löschung oder Suspendierung von der Plattform führen kann. Das wird dann als „Deaktivierung“ bezeichnet.
Als Reaktion auf diese und die vielen anderen ungeheuerlichen und gut dokumentierten Verfehlungen bei Unternehmen wie Uber, begannen FahrerInnen in Seattle an einem neuen Gesetz zu arbeiten, um Kollektivvertragsverhandlungen für Plattform-ArbeitnehmerInnen zu ermöglichen und um Unternehmen zu Verhandlungen zu verpflichten. Die erfolgreiche Verabschiedung dieses Gesetzes führte nicht zu formellen Arbeitsverträgen mit den Unternehmen. Stattdessen klagten Unternehmen die Stadtregierung, um die Anwendung des Gesetzes zu verhindern. Die Unternehmen haben keine Angst davor, eine Einigung mit ihren FahrerInnen zu erzielen. Vielmehr scheinen sie am meisten Angst vor den Auswirkungen zu haben, die Personen auf ihren Plattformen als Menschen mit legitimen Rechten anerkennen zu müssen.
Inwieweit hatte deine Arbeit als Organizerin den FahrerInnen geholfen und was können wir als GewerkschafterInnen aus deinen Erfahrungen lernen?
Für die FahrerInnen vor Ort hat Solidarität einen deutlichen Unterschied gemacht. In diesem Fall konnten die FahrerInnen Tarife beibehalten, die mehr als doppelt so hoch waren, wie in anderen Städten vergleichbarer Größe. Nachdem Uber radikale Tarifkürzungen im gesamten Land angekündigt hatte, organsierten FahrerInnen in Seattle Proteste und Unterstützung und nach ein paar Tagen machte das Unternehmen die Kürzungen rückgängig.
Tarifkürzungen und Gerichtsverfahren sind nur kleine Ausschnitte aus dem konzertierten Versuch von Uber die FahrerInnen auszubremsen. Das Unternehmen greift auch zu drastischen Anstrengungen, um bei Regierungen auf allen Ebenen für eine vorteilhafte Politik zu lobbyieren. 2017 berichtete das National Employment Law Project, dass Uber mehr LobbyistInnen beschäftigt als Walmart, Microsoft und Amazon zusammen. Als Ergebnis dieser massiven Kampagne der Einflussnahme wurden in 41 von 50 US-Bundesstaaten Gesetze im Interesse der Plattform-Konzerne verabschiedet. Diese Gesetze zielen nicht nur darauf ab, progressive Gesetzgebung, wie die Verordnung zu Kollektivvertragsverhandlungen in Seattle, zu untergraben, sondern auch alle weiteren Bemühungen für Mindesttarife, zur Beschränkung der Anzahl an Fahrzeugen, die für eine Plattform auf der Straße unterwegs sind, oder für sinnvolle Sicherheitsstandards für die Unternehmen.
Die Strategie ist einfach. Man entsendet LobbyistInnen und PR-ExpertInnen in jede Stadt und Region, in der das Unternehmen tätig sein will, unabhängig davon, ob die Plattform dort gegenwärtig rechtlich operieren darf oder nicht, und nimmt die Geschäftstätigkeit auf. Den FahrerInnen werden attraktive Anreize angeboten und ihren werden hohe Einkünfte versprochen. Den PolitikerInnen werden „Innovation“, „die Schaffung von Arbeitsplätzen“ und „mehr Möglichkeiten für Reisende“ versprochen. Das Unternehmen nimmt seine Tätigkeit auf – unabhängig von der Frage, ob es dazu rechtlich befugt ist. Es sei denn, die zuständigen Behörden setzen entschlossene Maßnahmen dagegen. Das bedeutet oft, dass es zu einem landesweiten Verbot oder einer Razzia der bundesstaatlichen Steuerbehörde kommt, bevor das Unternehmen gewillt ist seine Geschäftstätigkeit einzustellen. Dafür gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und überall auf der Welt Beispiele. Die Missachtung kommunaler oder regionaler Gesetze ist kein Versehen, sondern Teil der strategischen Bemühung die Unterstützung der Öffentlichkeit zu erlangen, um diese später gegen jeden politischen Widerstand einzusetzen. Unternehmen bezeichnen diese Strategie als „staatlichen Eingriff“.
Der bereits erwähnte Bericht beschreibt detailliert, wie sich diese Unternehmen die Strategie des „staatlichen Eingriffs“ (auch bekannt als Bevorrechtigung) benutzt haben – eine Strategie, der die Waffen- und Tabakindustrie den Weg bereitet hat – um ihre Branchen zu deregulieren und das Beschäftigungsverhältnis mit ihren FahrerInnen – überwiegend nicht-weiße MigrantInnen – neu zu gestalten.
„Plattformunternehmen der Transport- und Beförderungsbranche – und insbesondere Uber – haben Millionen Dollar für Angriffskampagnen ausgegeben, um Städten die Kompetenz zu entziehen, den Stadtverkehr zu regulieren. Dabei haben sie oft auch ArbeitnehmerInnen ihrer Arbeitsrechte beraubt“, betonte Rebecca Smith, Expertin des National Employment Law Project und Co-Autorin des Berichtes.
Was wir in Seattle – Sitz von Amazon, Expedia, Microsoft und vielen anderen – gelernt haben, ist, dass nichts daran innovativ ist, eine Branche auf dem Rücken von ArbeiternehmerInnen mit Niedriglöhnen zu schaffen. Unsere wichtigste Botschaft für unsere PartnerInnen in der globalen ArbeiterInnenbewegung lautet: Unterstützt die Stimme aller ArbeitnehmerInnen, unabhängig ihrer rechtlichen Einstufung, und verteidigt die hart erkämpften Gesetze, die die Menschen und die Wirtschaft schützen. Innovation und Ausbeutung müssen nicht Hand in Hand gehen. Vielmehr sollen neue Technologien und neue Arbeitsweisen den Standard heben und die Jobs der Zukunft so gut machen, wie die Technologie der Zukunft.
Übersetzung aus dem Englischen von Lukas Neissl.